Meine Großmutter wohnt im beschaulichen Luftkurort Niedenstein – einem schnuckelig-grünen Fleckchen Erde, das ich von Kindesbeinen an als einen Inbegriff von heiler Welt kennengelernt habe. Wald, Felder und Weiden überall, letztere bevölkert mit allerlei gechillt grasendem Hufgetier… Ein Garant für freie Köpfe und Lungen (sofern man die frische Landluft verträgt, heißt das). Und für ein ausgeglichenes Gemüt obendrein. Ich mag es dort.
Dass nun ausgerechnet in Niedenstein irgendein minderbemittelter Wichser (sorry, not sorry) einem Alpaka-Baby die Ohren abgeschnitten hat… Nun, das kam für uns alle ein wenig unerwartet. Zumindest was den Ort betrifft. Denn Berichte über derartige »Einzelfälle« von Tierquälerei? Tja, die sind heutzutage schon ebenso an der Tagesordnung wie all die anderen Gewaltdelikte, für die wir Menschen sonst herhalten müssen.
Es ist fast ein bisschen witzig: Wir Deutschen sind stets ganz vorne mit dabei, wenn in Moralfragen mit dem erhobenen Zeigefinger gefuchtelt werden soll – aber abseits von Rassismusdebatten ist mit uns eigentlich nicht besonders viel los. Wo wir in puncto Minderheitenschutz so gern auf dicke Hose machen, sind wir erstaunlich still, wenn’s unseren Schutzbefohlenen an den Kragen geht. Darf man ja so nicht mehr sagen, dass asoziales Verhalten und Gewalt gegenüber Lebewesen scheiße sind. Und ein Alpaka ist ja auch nur ein Tier. Wir haben wichtigere Probleme. Richtig?
Inhalt
Speziesismus – Menschen, Menschen über alles
Wo wir eben bei des Deutschen liebsten Kind waren: Auf welchem Phänomen beruht eigentlich Rassismus?
Auf einem Gefühl von Überlegenheit. »Meine Rasse ist besser als deine Rasse. Ich stehe über dir. Meine Bedürfnisse sind wichtiger als deine Bedürfnisse.«
Was steckt hinter Sexismus? Letztendlich dieselbe dumme Denke: »Mein Geschlecht ist besser als dein Geschlecht.«
Und was ist nun Speziesismus? Der Speziesist (sofern er diese Bezeichnung denn aussprechen kann) findet: »Meine Art ist besser als deine Art.«
Alle drei -isten haben also etwas gemeinsam: Sie alle haben offensichtlich einen an der Waffel. Niemand kann mal eben so festlegen, dass etwas objektiv besser oder schlechter ist als etwas anderes. Niemand bei Verstand kann mal eben eine gesamte »Rasse«, ein Geschlecht oder eine Spezies über einen Kamm scheren und für generell minderwertig erklären.
Tatsächlich sind ohnehin nur wir Menschen kognitiv dazu in der Lage, irgendwelche -isten zu sein. Nicht, weil wir ach so toll wären. Sondern weil wir die einzigen Tiere auf diesem Planeten sind, die die Welt in abstrakte Konzepte aus Buchstaben (sprich: Worte) pressen. Wir bilden uns darauf auch ziemlich viel ein. Wir sind eben die absolute Krone der »Schöpfung«. Alle anderen dagegen? Dummes Fußvolk. Mehr nicht.
Tja, Pech gehabt, Fellbeutel! Habt ihr halt die falsche Hautfarbe Spezies erwischt.
»Ich darf das.«
Was passiert nun, wenn jemand sich dank gewisser ihm zufällig gegebener Eigenschaften dem Rest der Welt überlegen fühlt?
Vielleicht vergewaltigt er Pferde, schächtet Schafe, bricht Raben die Beine, verprügelt Hunde (gern auch samt Besitzer), schmeißt sie aus dem Fenster, übergießt Katzen mit Säure, rammt ihnen Spieße durch den Kopf, skalpiert sie, beschießt sie mit dem Luftgewehr, legt ganz langweilig-traditionell Gift- oder mit Rasierklingen bestückte Köder aus… Oder schneidet Alpakas die Ohren ab.
»Wofür?«, fragt sich der normal denkende und fühlende (und ob dieser Grausamkeiten vor Wut schäumende) Mensch. Für ein krankes Gefühl von Macht vielleicht? Zum Aggressionsabbau? Aus Spaß an der Freude?
Die Begründung ist mir im Kern herzlich egal. Es gibt für solche Taten keine akzeptable Rechtfertigung. Wer Tiere quält, ist Abschaum. Punkt. Selbst ein ganz und gar ungebildeter Mensch, der glaubt, dass Tiere im Gegensatz zu uns ach so gottgleichen Menschen nichts fühlen, sollte seinen Irrtum allerspätestens beim ersten Schmerzensschrei seines Opfers erkennen. Leider scheinen die meisten Täter sich an den Lautäußerungen dieser gequälten Seelen aber nur zusätzlich aufzugeilen.
Tierschutz in Deutschland
Tierschutz in unserem Rechtssystem durchzusetzen ist schwierig genug. Wir leben eine Doppelmoral: Es sind eben nicht nur unsere Haustiere, die Schutz und Respekt verdienen. Nutztiere leben und fühlen genauso wie unsere caniden und felinen Fellkumpels zu Hause. Hinter Zucht, Haltung, Schlachtung und Verwertung dieser Lebewesen stehen allerdings milliardenschwere Industrien – und wo Geld fließt, da nimmt man wenig Rücksicht auf Verluste. Die Betriebe spülen schließlich Kohle in die Kassen, völlig unabhängig davon, ob die Bedingungen den Vorschriften entsprechen. Da kann man mal zwei Augen zudrücken, hm?
Das Bewusstsein für die Qualen der Massentierhaltung in der Bevölkerung wächst langsam – doch das Umdenken im Alltag fällt einigen von uns noch schwer. Trotzdem arbeiten schon verdammt viele Tierfreunde an ihrem Lebensstil. Integrieren vegane Gerichte in den Speiseplan, meiden Lederwaren und Wollprodukte und achten auf tierversuchsfreie Kosmetika. Das sind gute Schritte in die richtige Richtung. Schritte, die wir auch weiterhin gehen sollten.
Sind nun aber nicht einmal unsere Haustiere sicher vor gewaltsamen Übergriffen – was sagt das über uns aus? Wir beklagen die katastrophalen Zustände im Ausland, den Mangel an Respekt für unsere vierbeinigen Erden-Mitbewohner, schaffen es gleichzeitig aber nicht einmal, vor unserer eigenen Tür zu kehren? Wie vorbildlich sind wir da wirklich?
Tiere sind keine Sache
Vor dem Gesetz sind Tiere hier immer noch eine Sache. Leblose Gegenstände. Das Verletzen eines Tiers ist schlichte Sachbeschädigung.
Das führt dazu, dass die Strafen für Tierquälerei nach wie vor verschwindend gering ausfallen – wenn sie überhaupt zur Anzeige gebracht und geahndet werden. Gewöhnlich handelt es sich juristisch betrachtet um Ordnungswidrigkeiten, die zumeist mit einem Bußgeld bestraft werden. Das Auslegen von Giftködern bleibt gar völlig ohne Konsequenzen für den Täter, solange kein Tier verletzt wird. Sie wollten ein paar Tiere töten? Na ja. Ist ja nichts passiert. Passt schon!
Für die offiziellen Stellen, die die Anzeigen wegen Tierquälerei verarbeiten müssen, überwiegt der Aufwand sicherlich den Nutzen. Und überhaupt: Bei all den Verbrechen gegen Menschen da draußen – soll man sich da wirklich auch noch mit den Tieren befassen?
Ja. Nicht nur um der Tiere Willen. Sondern auch, weil Menschen, die Tiere quälen, auf so tiefgreifende Weise gestört sind, dass sie ihre ach so harmlosen »Spielchen« früher oder später womöglich mit Zweibeinern weitertreiben. Tierschutz wird in diesen Fällen zu Menschenschutz. Wem das Leid eines Tieres nicht schlimm genug erscheint (an dieser Stelle: mein Beileid), der wird vielleicht wach, wenn seine zweibeinigen Artgenossen ins Visier genommen werden.
Tierschutz im Alltag: Was tun?
Neben bewussten Konsumentscheidungen und der artgerechten Haltung unserer eigenen Fellkumpels, können und sollten wir vor allem mit offenen Augen durch die Welt gehen.
Tiere können nicht für sich sprechen und sind darauf angewiesen, dass wir für sie einstehen. Wer eine wie auch immer geartete Tierquälerei beobachtet, steht in der Pflicht, diese anzuzeigen. Wer wegsieht, macht sich mitschuldig. Und je mehr Leute wegsehen, desto mehr stehen Tiere und Tierschützer auf verlorenem Posten.
Wer den Moralapostel geben will, sollte sich selbst ganz stark hinterfragen, wenn er das Wohl von Tieren als eher mäßig relevant erachtet. Schon Gandhi hielt seinerzeit fest, dass der moralische Fortschritt einer Nation sich an ihrem Verhalten gegenüber Tieren messen ließe. Wenn wir danach gehen, dann macht unser schönes Deutschland in moralischer Hinsicht zur Zeit eher Rückschritte.